© Stephan Rätzel
Wriezener Pogromgedenken 2024
Auch in Wriezen wurde am 09.11.2024 an die Opfer der Pogromnacht 1938 erinnert, Parallelen gezogen und Worte der Mahnung formuliert.
Anlässlich des Gedenkens an die schrecklichen Ereignisse in der Pogromnacht am 09.11.1938 hatte in Wriezen die Stadtverwaltung Wriezen und die Ev. Kirchengemeinde Wriezen/Oderland um 10.00 Uhr zu einer Veranstaltung am Gedenkstein der ehemal. Synagoge in d. Gartenstr. / Ecke Fröbelstr. eingeladen.
Neben einigen Vertretern aus Politik, Vereinen und Institutionen war auch eine kleine Delegation der Wriezener Johanniter-Schulen der Einladung gefolgt. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung richtete Bürgermeister Karsten Ilm mahnende, zum Nachdenken anregende Worte an die gut 30 Teilnehmer.
Er verwies auf die aktuellen Bedrohungen durch Falschmeldungen, Fake-News und Halbwahrheiten.
Die Gedenkveranstaltung wurde durch musikalische Begleitung, Gesang und das Verlesen von Psalmen abgerundet.
Im Anschluss wurden Kränze im Namen der Stadtverwaltung Wriezen, des Ortsverbandes der SPD sowie des Mitgliedes des Deutschen Bundestages Simona Koß vor dem Gedenkstein niedergelegt.
In Anlehnung an die mahnenden Worte des Wriezener Bürgermeisters sei die Erinnerung an den vielleicht bedeutensten jüdischen niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza gestattet, der als Begründer der sogenannten modernen Religionskritik gilt.
Der in Holland lebende Spinoza selbst wurde als er 23 Jahre zählte, ebenso wie Leo Trotzki wegen seiner Zweifel an verschiedenen zentralen Glaubenslehren des Judentums von der Amsterdamer portugiesischen Synagoge mit dem schlimmsten jüdischen Bann (dem Cherem) belegt und aus der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen.
Doch sollte sich Spinoza's These als wahr herausstellen, so hätten Fake-News in diesem frühen Stadium der Informationsverarbeitung bereits einen klaren Vorteil auf ihrer Seite: Immer dann, wenn uns die Fähigkeit oder die Motivation fehlt, eine Aussage beim ersten Kontakt genau zu prüfen, beispielsweise durch einen Faktencheck. Doch leider neigen wir zu gern dazu, fehlende Fakten durch "Gehörtes" oder "Zusammengereimtes" zu ergänzen, um diese dann aktiv zu falsifizieren, damit sie die subjektive Überzeugung bestätigt.
Beispiele gewünscht? Gerne u.a. die Überlieferung der Geschichte, von der angeblichen Vergiftung der städtischen Brunnen und Wasserquellen durch das jüdische Volk im Zuge der Pest im Mittelalter oder die Ausschwitzlüge.
Was können wir also von Spinoza über Fake News lernen?
Auch wenn seine Sichtweise nicht für alle Aussagen und in allen Situationen zu gelten scheint, kann sie durchaus ihren Teil dazu beitragen, zu verstehen, warum Fake-News oft so schwer aus der Welt zu schaffen sind.
Bei nicht genauer Überprüfung und sprichwörtlich oberflächlicher Verarbeitung von Informationen zu Thematiken, zu denen wir eben wenig Hintergrundwissen besitzen, tritt nicht selten das Phänomen auf, dass Aussagen, selbst wenn sie zunächst klar als falsch identifiziert waren, später für den eigenen Standpunkt verwendet und für wahr gehalten werden.
Jeder wird in den vergangenen Jahren für sich festgestellt haben, dass, verteilt auf alle Bevölkerungsschichten, hinter mancher menschlichen "Fassade" einiges quer läuft.
Der "bedingslose Gehorsam" ist ebenso beängstigend, wie all jene Meschen, die Menschen abwertende, verletztende, oft fremdenfeindliche, aber auch homophobe Äußerungen/Kommentare von sich geben, die inzwischen routiniert als Floskeln abgetan werden:
"Hat man ja so jetzt nicht gemeint."
Die 94-jährige amerikanische Psychoanalytikerin Erika Freeman formulierte mahnend kürzlich in einem Interview mit der Ev. Kirchengemeinde: „Menschen hassen gerne und Hass ist ein sehr hartnäckiges Gefühl. Es gibt Personen, die andere leiden sehen wollen. Und wenn einem dann jemand erlaubt zu hassen und den Hass auszuleben, dann beginnt man, diese Person zu mögen.“
Der 94-jährige Publizist Paul Lendvai, der einst von den Nationalsozialisten verfolgt wude und später vor den Kommunisten aus seiner Heimat Ungarn fliehen musste, appellierte in www.businessinsider.de:
"„Man darf nie Schlafwandler sein und die heutigen Freiheiten romantisch als gegeben betrachten. Man muss immer wissen, dass alles von einem Moment zum anderen verschwinden kann. Dass es diesen Übergang geben kann, habe ich persönlich mehrmals in meinem Leben erlebt“.
Der Österreicher Michael Chalupka verfasste jüngst diese Zeilen:
"Es sind nicht immer Einzelpersonen, die die Erlaubnis zum Hassen geben. Die Abwertung von Personengruppen; die Entmenschlichung, wenn andere als Ungeziefer, das ausgetilgt werden muss, bezeichnet werden; die Erfindung von Sündenböcken, denen die Schuld für die eigenen Unzufriedenheit zugeschoben werden kann – der Hass bricht sich auf den Social-Media-Kanälen Bahn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Alles ist sagbar, die Erlaubnis ist allgemein, und die, die sie geben, werden geliebt und belohnt. Auch die Demokratie ist vor den Versuchungen, mit der Erlaubnis des Hasses Stimmen zu gewinnen, nicht gefeit."
Textquelle: Stephan Rätzel
Datum: 09.11.2024- 21.02.2025
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Dieser Artikel wurde erstellt durch:
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