Sarén Jürgens (l.) und Katrin Bosse im Gespräch über Bernardino Greco und sein Buch „La Romita: Utopia?"
© Heike Jänicke
Wenn Utopien Wirklichkeit werden
Katrin Bosse und Sarén Jürgens stellen im 4. literarisch-musikalischen Salon im Teehäuschen das Buch von Bruder Bernardino Greco „La Romita: Utopia?" vor und geben Einblicke in das Leben eines beeindruckenden italienischen Franziskaner-Bruders
Was hat eine italienische Einsiedelei mit Bad Freienwalde zu tun? Und warum stellt die Kurstädterin Katrin Bosse ein Buch eines Franziskaner-Bruders vor? Auf diese und andere Fragen gab es am Abend des 18. Oktober während des 4. literarisch-musikalischen Salons im Teehäuschen Antworten.
Das Interesse ist groß. Die Stühle reichen ob der Vielzahl der Gäste nicht aus. Es werden weitere Stühle in den Saal geräumt. Im Publikum sitzen unter anderem Bürgermeister Ralf Lehmann und seine Frau Doris, die CDU-Stadtverbandsvorsitzende Ulrike Heidemann, die Eltern von Katrin Bosse, Dieter und Heidi Bosse, Freundinnen und Freunde der Bad Freienwalderin wie Susanne Heuser und Clemens Lippok. Sie selbst hat gemeinsam mit Sarén Jürgens vom Buchgeschäft „Papierblüte“ auf dem kleinen Podest Platz genommen. Die Aufregung ist Katrin Bosse anzumerken, wenngleich es ihr nicht fremd ist, vor Publikum zu reden. Doch dieser Abend scheint für sie etwas Besonderes, die Bedeutung der Lesung ihr eine große Herzensangelegenheit zu sein. Ihr zu Füßen stehen Bücher – darunter „La Romita: Utopia?“ von Bruder Bernardino.
Über Utopien wollen Sarén Jürgens und Katrin Bosse in einer Art Interview reden, über die Wege, die beim Gehen entstehen. Über den Weg von Bernardino Greco und den von Katrin Bosse, die sich auf der „Romita“ in den Wäldern Umbriens begegnet sind und bis zu seinem Tod vor zwei Jahren eng miteinander verbunden waren und es auch heute noch sind.
Bernardino Greco, geboren 1939 in Apulien und mit 16 Jahren bereits Ordensbruder, blickt in seinem Buch auf sein Leben als Franziskaner-Bruder zurück, auf seinen Weg, der nicht leicht, oft steinig, aber erfüllt war. In Parallelität und Verehrung zu Franziskus von Assisi folgte auch er dem „Ruf“ und ging seinen Weg. Der führte ihn nach dem Studium in Tübingen, wo er unter anderem bei Joseph Ratzinger, dem späteren Papst, studierte, und weiteren Aufgaben in San Masseo und San Damiano in Assisi 31 Jahre vor seinem Tod auf die „Romita di Cesi“, das einstige Kloster. Das war am 28. Februar 1991. „Da schlief Dornröschen, eine alte Schönheit, die jung geblieben ist. Meine Gegenwart in der dichten Vegetation hat sie geweckt. Dies war der Beginn einer Liebesgeschichte, die noch immer andauert“, schildert Bernardino im Buch seine erste Begegnung mit der „Romita“, die mehr als 140 Jahre verlassen, zerstört und ausgeplündert vor ihm lag. Von diesem Tag an setzte er all seine Energie, seine Erfahrung und seine Zeit, trotz starken Gegenwinds und so mancher Hürden, für den Wiederaufbau der Einsiedelei ein, „um Menschen aufzunehmen, zu teilen, das Evangelium zu leben und zu verkünden“.
Einer dieser unzähligen Menschen, die seither den Weg zur „Romita“ fanden, ist Katrin Bosse. Sie hatte sich an ihrem 38. Geburtstag am 10. August 2016 von Bad Freienwalde aus auf den Weg gemacht, auf ihren Weg. Nach 13-jähriger Tätigkeit in einer Bank spürte sie, dass es Zeit für einen anderen Weg war. Sie kündigte, verkaufte alles, zog zurück in ihre Heimat, ins Oderbruch, schnürte die Wanderschuhe, packte das Nötigste ein und lief los. Als Pilgerin, auf der Suche nach ihrem Ort. Immer begleitet von der Heiligen Hildegard von Bingen, der sie sich schon viele Jahre verbunden fühlt.
Die Weichen zu ihrem Ort stellten sich in Spanien, als sie auf dem bekanntesten der alten Pilgerwege unterwegs war, auf dem Camino Francés, und dort drei Freunde kennenlernte. Bea aus Ungarn, Angelo und Vincenzo aus Italien. Sie verlieren sich nicht aus den Augen, schreiben und telefonieren. So auch im August 2017, als Vincenzo sie anruft, sie ist gerade in Sachsen auf dem Pilgerweg. Am Ende des Telefonats verabreden sie sich gemeinsam mit Angelo zum Pilgern. In Portugal. Und auf dem Weg geschieht ihr „Portugal-Wunder“, wie Katrin Bosse während der Lesung aus ihrem Blog „Ruf des Herzens“ (www.rufdesherzens.wordpress.com) zitiert: ,Eine Frage kommt kraftvoll in mir auf: ,Do you know my place?‘ Das Wunder geschieht. Angelo kennt mich und meine Beweggründe diesen Meinen Weg zu gehen. Doch, er antwortet nicht. Ich frage nach, ob er mich verstanden hat. ,No.‘ Ha, hatte ich doch das Gefühl. Noch einmal erzähle ich ihm von meiner Suche nach Meinem Ort, beschreibe meine Vorstellungen langsam und detailliert. Er bleibt stehen. ;Yes.‘ Uff. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. ,La Romita di Cesi‘. Der Klang des Ortes berührt mein Herz, Gänsehaut am ganzen Körper, Glücksgefühle durchziehen mich, Bilder tauchen vor mir auf. Instinktiv weiß ich, dass ich an diesen Ort gehen werde.“
Am 19. Mai 2018, nach insgesamt 3500 Kilometern Suche, ist es soweit. Zum ersten Mal betritt sie die „Romita di Cesi“. „Es ist der 27. Geburtstag der Romita seit der Wiederentdeckung von Bruder Bernardino und es ist Pfingsten! Viele sind gekommen. Einige darunter, die am 19. Mai, einem Pfingstsonntag vor 27 Jahren, den ersten „Spatenstich“ gemeinsam mit Fra Bernardino getan haben, um die Romita wieder aufzubauen.“
Mit Rebecca Prechter sitzt eine Freundin und ,Schwester' von Katrin Bosse und „Kind der Romita“ neben dem Podest, in der Hand die Gitarre. Sie spielt und singt mit heller Stimme den Psalm 23. Katrin Bosse schließt die Augen, wiegt sich im Takt. Die Melodie nimmt sie gefangen und beamt sie im Geiste auf die „Romita“ und zu Bernardino. Das Lied, wie auch die anderen Lieder, die die Gäste an diesem Abend hören, hat die Gemeinschaft auf der Einsiedelei gemeinsam gesungen.
Das Publikum erfährt weiter, wie Katrin Bosse das erste Ankommen auf der „Romita“ erlebt hat. Sie erzählt, dass sie sie schon vorher gespürt habe. „Und mit dem Betreten der ,Romita‘ habe ich die Orte gesehen, die ich schon lange (seit 10 Jahren) in mir gesehen habe, das große Eisentor mit der Inschrift ,Clausura‘, daneben ein Rosenstock. Ich war überwältigt. Die ersten Monate bin ich herumgeflattert“, erinnert sie sich. „Das Großartigste für mich jedoch war das Leben im Einklang mit der Natur, den Elementen und den Jahreszeiten. Nie zuvor habe ich so nah in und mit der Natur leben können, ohne dass es mir dabei an etwas gefehlt hätte. Ganz im Gegenteil! Wir sind mit dem Licht aufgestanden und haben uns in unsere Räume zurückgezogen nachdem das Licht gegangen ist“, schreibt sie dazu in ihrem Blog.
Diese Liebe hat sie bis heute nicht losgelassen, wie auch die Nähe zur Heiligen Hildegard von Bingen. „Bernardino wäre sehr stolz auf Dich gewesen, wenn er wüsste, wo Du heute arbeitest“, knüpft Sarén Jürgens an. Denn heute ist Katrin Bosse Geschäftsführerin des Hauses der Naturpflege, das sich dem Natur- und Umweltschutz verschrieben hat – getreu ihren Gründern, Erna und Kurt Kretschmann.
Katrin Bosse antwortet auf Fragen aus dem Publikum und erzählt, dass die „Romita“ nach dem Tod von Bernardino vor zwei Jahren weiterlebt, in dem Rhythmus und Tagesablauf, wie ihn Bernardino gelebt und eingeführt habe. Sie selbst habe drei Jahre auf der „Romita“ gelebt und sei inzwischen mehr als drei Jahre wieder in Bad Freienwalde. „Und ich habe vor zu bleiben. Aber im November fahre ich wieder nach Italien und auch auf die Romita“, sagt sie sehnsuchtsvoll. Die Vorfreude schwingt in ihren Worten mit.
Bernardino sei einst als „verrückter Extremist“ bezeichnet worden, wirft Sarén Jürgens noch einmal einen Blick ins Buch. „Was braucht es, um so auf seinen Weg zurückzublicken“, will sie schließlich wissen. „Mut“, antwortet Katrin Bosse spontan. „Liebe wird aus Mut gemacht“, bedient sie sich der Worte aus dem Lied von Nena „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. „Ich fordere Euch auf, geht mutig Euren Weg und liebt, was das Zeug hält“, so die Bad Freienwalderin, die den italienischen Franziskaner-Bruder Bernardino Greco in Bad Freienwalde posthum eine Bühne gibt.
Zum Schluss singen alle zusammen „Das Lied von San Damiano“, das von der Reinheit, Einfachheit und Freude erzählt. „Wenn du es verstehst, im Glauben bescheiden zu leben, wirst du umso glücklicher sein, auch wenn du nichts hast, wenn du willst…“, heißt es unter anderem. Wie passend. Bernardino Greco lebte in diesem Sinne. So konnte er seinen Ruf folgend sein inneres und äußeres Haus bauen, seine „Utopia“, die „Romita di Cesi“ verwirklichen. „Die Romita ist nicht mehr Glut unter der Asche, sondern ein kräftiges Feuer, das wärmt und leuchtet; nicht mehr ein Trümmerhaufen mitten im Wald, sondern ein riesiger Gebäudekomplex voller Energie, Leben und altehrwürdiger Schönheit. Der Wiederaufbau und die Wiederbelebung der Romita sind der Beweis dafür, dass mit kleinen Mitteln Großes erreicht werden kann“, schreibt Bernardino in seinen Schlussbemerkungen zum Buch.
Ein tiefes Seufzen ob der gelungenen Lesung, ein paar Tränen ob der unverhofften Nähe zu einem fremden Menschen und die Lust, diese „Romita“ einmal persönlich kennenzulernen – die Gäste des Abends gehen mit Wärme im Herzen nach Hause, der eine oder andere mit einem Exemplar von „La Romita: Utopia?“ unterm Arm. Und ganz gewiss noch lange mit den Gedanken an einen einzigartigen Menschen.
Mit dem Kauf des Buches „La Romita: Utopia?“ unterstützt man das Lebensprojekt von Bernardino Greco – ISBN: 978-9-40374-971-6, 1. Auflage, käuflich zu erwerben u.a. in der „Papierblüte“, Königstraße 10 in Bad Freienwalde.
Datum: 21.10.2024
Für Katrin Bosse ist es eine Herzensangelegenheit, vom Leben des Franziskaner-Bruders Bernardino Greco zu erzählen, waren sie doch für drei Jahre ihres Lebens enge Vertraute.
© Heike Jänicke
Mit Blumen bedankte sich Dr. Reinhard Schmook im Namen der Michael Linckersdorff-Stiftung bei Rebecca Prechter für die musikalische Begleitung und bei Sarén Jürgens und Katrin Bosse für die Einblicke in das Leben eines beeindruckenden Mannes.
© Heike Jänicke
Dieser Artikel wurde erstellt durch:
Freie Journalistin Heike Jänicke
Heike Jänicke
Redakteurin
